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icon5.gif   Alopecia Areata, versteckte/unsichtbare Stigmatisierung und Partnerschaft [Beitrag #15825] :: Wed, 03.01.24 15:42 Zum nächsten Beitrag gehen
Hallo,

ich (männlich) habe seit 11 Jahren Alopecia Areata Universales, wenngleich inzwischen mit einzelnen Härchen, aber die tun wenig zur Sache. Mich würde Eure Erfahrung interessieren, die ihr mit Eurer AA in Eurer Umgebung in der sozialen Interaktion macht und wir ihr damit umgeht?

Bevor ich aber zu diesem Thema komme, will ich noch zwei Punkte ansprechen, die mich immer beschäftigen, wenn ich mal in diesem Forum nach Neuigkeiten stöbere.
Erstens bin ich immer wieder erstaunt, irritiert und z.T. betroffen, welche Therapieideen hier in diesem Forum immer mal wieder aufkommen, von Weißkrautwickel, über Knoblauchanwendungen, Vitaminen hinzu lebensveränderlichen Maßnahmen. Man sieht daran einfach, wie einscheidend diese Krankheit ist, so dass diese objektiv eher fragwürdigen Versuche diskutiert und oft auch mit erheblichen Aufwand immer wieder probiert werden. Auch ich bin davon nicht frei und habe schon so einiges probiert. Man sieht daran auch, dass schwierige, komplexe und unlösbare Dinge einen gewissen religiösen Tick auslösen, indem dann allerlei Spekulationen und Theorien kursieren, die ja letztlich niemand beweisen oder widerlegen kann und die dann oft lange Zeit wie Hexenbräuche weitergetragen werden. Dann gibt es die, die das aus Unwissenheit verbreiten, aus Verzweiflung oder leider auch aus unethischen gewinnorientierten Absichten, die also am dem Leid anderer verdienen wollen. Zum Glück wird durch neue Therapien wie z.B. YAK-Inhibitoren immer deutlicher, dass es sich bei AA um eine hochkomplexe und echte, messbare, mit biochemischen Vorgängen verknüpfte Erkrankung handelt, so dass der nebulöse Schleier sich lichtet und Weißkrautwickel als das erkannt werden, was sie sind. Im besten Fall eine zufällige Zutat zur Spontanheilung, die es ja gibt bei AA. Das Stress AA auslösen kann ist kein mythisches Konstrukt mehr, wenn man weiß, dass Stress auf das Immunsystem negativ einwirkt. Das Gleiche geht aber auch von anderen Einflüssen aus, ob Nahrung, Infektionen oder Umweltgifte. D.h. die Geschichte von der Krankheitsentstehung durch den Fehler „zu viel Stress gehabt zu haben“ eignet sich höchstens, um sich erfolgreich Selbstvorwürfe zu machen. Vielmehr ist es aber so, dass jeder ständig Stress hat, ob im Beruf, Familie, Umweltstress etc. Bei Menschen mit AA kann dies aber durch eine genetische „Belastung“ zum Haarausfall führen. Da sich Stress nicht vermeiden lässt, kann man Stress auch kaum als Ursache ansehen. Intuitiv kommen manche dann auf die Idee, weniger Stress könnte die Krankheit heilen, aber das ist genauso realistisch wie eine durch zu viel Verkehr eingestürzte Brücke repariert sich von selbst, wenn nur keine Autos mehr drüber fahren. (Ja es gibt Selbstheilungskräfte im Körper, aber keine Wunder) Diesbezüglich sind die Versuche der Lebensveränderung, die häufig Ausgangspunkt in einem der vielen Bücher zu chronischen, oft unzureichend therapiebaren Krankheiten haben, im Sinne „wenn ich nur mein Leben in Ordnung bekomme und weniger Stress habe“ heile ich AA, letztlich der Krankheit genauso unangemessen, unangebracht und die Krankheit nicht ernst nehmend wie die Klassifizierung von AA durch Politik und GBA als ein „kosmetisches Problem“.
Das bringt mich zum zweiten Vorthema. Dass also in Deutschland (wenngleich auch nicht nur hier) an AA Erkrankten letztlich mit einer reinen technokratischen und juristischen Argumentationsakrobatik, entscheidende die Gesundheit bezogene Lebensqualität verbessernde Therapieoptionen strukturell vorenthalten werden, ist ein Unding. Die Art und Weise, wie teilweise Ärzte in diesem Spiel eine unrühmliche Rolle spielen, erinnert sehr weit hergeholt eher an dunkle Zeiten der Medizingeschichte in Deutschland, in dem sich Ärzte vor den Karren der Politik spannen lassen, um, wie vermutlich hier, Ausgabeneffekte zu vermeiden.


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icon5.gif   Aw: Alopecia Areata, versteckte/unsichtbare Stigmatisierung und Partnerschaft [Beitrag #15826 ist eine Antwort auf Beitrag #15825] :: Wed, 03.01.24 15:44 Zum vorherigen Beitrag gehenZum nächsten Beitrag gehen
Damit komme ich nun aber zum eigentlichen Punkt dieses Beitrags. Ich war zum Zeitpunkt des Ausbruchs in einer Beziehung, habe aber relativ schnell gemerkt, dass sich der Haarausfall sehr deutlich auf die Beziehung ausgewirkt hat. Mehr oder weniger „verschlüsselt“ bzw. „sibyllinisch“ hat meine damalige Freundin direkt schon in der ersten Zeit, in der ich mehr oder weniger aktionistisch vom Hautarzt in eine Fachklinik eingewiesen wurde, gesagt, dass sie nicht wüsste, ob sie das durchstehen kann, ohne genau zu sagen, was sie meinte und ich habe auch aus Eigenschutz nicht so genau gebohrt. Nun die Partnerschaft ist tatsächlich nur 2 Jahre später auseinander gegangen. Auch wenn sicher mehrere Gründe eine Rolle gespielt haben, auch die Tatsache, dass mich die Krankheit selbst in meinem Verhalten verändert hat, würde ich behaupten, dass Aussehen, va. das wie man sich kennengelernt hat, einfach einen Art Schutzschirm, man könnte es „Hygienefaktor“ nennen, für eine Beziehung bildet, der dann eben wegfällt, wenn die Krankheit ausbricht.
Ich habe seither gemerkt, dass es mir viel schwerer bis unmöglich fällt neue Beziehungen zu Frauen aufzubauen, d.h. ich bin de facto nun seit mehreren Jahren Single. Das Interessante ist, dass mir nirgends eine offensichtliche Abneigung, Spott oder dergleichen entgegen fällt. Es gibt also keine offensichtliche Stigmatisierung, wie sie ja z.B. bei Vitiglio in afrikanischen Kulturen durchaus anzutreffen ist. Hier hat unsere Gesellschaft also eine zivilisatorische oder edukative Komponente, zumindest oberflächlich. Wenn ich mich mit guten Freundinnen über das Thema unterhalte, höre ich auch oft, dass sie mein Aussehen gar nicht also Problem erkennen, dass sie also meine Wahrnehmung gar nicht verstehen und letztlich also auf meine Einstellung zur Krankheit und zu mir selbst mit meinem Aussehen jetzt als Ursache für Singlesein abzielen. Wenn ich mal meinen Freundinnen eine gute Absicht unterstelle und mal bewusst nicht annehme, dass sie mich nur beruhigen wollen oder Angst haben, die „Wahrheit“ zu sagen, müsste es ja eine Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch geben. Ich habe lange nachgedacht über diesen Punkt und eines ist auffällig: Ich kann mit allen Frauen außerhalb eines bestimmten Kontextes ohne Probleme gegenseitig eine gute Beziehung aufbauen, ob im Beruf oder privat. Vornehmlich ist das entweder also der Beruf oder es sind ältere Frauen oder verheiratete Frauen o.ä. Sobald aber der Kontext des Flirtens, der Erotik, der Beziehung ins Spielt kommt, existiert eine Art gläserne Decke. Etwas, dass zu einem immer gleichen Muster führt, in dem ich eine Frau bei welcher Gelegenheit auch immer anspreche, ob einfach keine „Einladung“ von Ihrer Seite in Beziehung zu treten entsteht, sondern eine passive Abweisung, die ein Gespräch nach relativ kurzer Zeit enden lässt.
Nun was könnte für diese Beobachtung der Grund sein, was könnte der Grund sein, dass Freunde, Verwandte und Personen außerhalb des potentielles Beziehungskreises, dass nicht nachvollziehen können?
Da ich mich sowohl von meiner Ausbildung her als auch beruflich mit AI beschäftige, lässt sich das tatsächlich eigentlich recht gut erklären.
Um es kurz und einfach zu machen, der Mensch hat einfach verschiedene Wahrnehmungsfilter, die je nach Kontext aktiviert werden. Eine Frau/Mann die/der den Fokus auf eine partnerschaftliche Beziehung, hat, hat einfach einen anderen Filter aktiviert, mit dem er in dem Moment agiert, und der wird wiederum vielmehr von Kriterien wie Jugendlichkeit, Vitalität, Gesundheit etc. beeinflusst im Gegensatz zu allen anderen Lebenssituation, ob Beruf oder Freundschaft. Hier spielt dann eben, ob jemand Haare hat, Augenbrauen, Bart, Wimpern eine enorme Rolle. In dem offenen Brief von Prof. Schwichtenberg wird ja auch ein eindrückliches Beispiel selbst aus dem Arbeitsleben geschildert: https://www.haarerkrankungen.de/aktuelles/haarsinglenewsmeld ung.php?newsid=20231206
Am Ende haben Menschen einen Filter, der darüber entscheidet, mit wem wir mehr Zeit verbringen wollen, zu wem wir uns hingezogen fühlen, zu wem wir unbewusst und wie autonom von Geisterhand gesteuert in Nähe statt Distanz gehen etc. Passen die beiden Filter zweier Menschen zueinander, erhöht das massgeblich die Wahrscheinlichkeit, dass diese Beiden zueinander finden. Ich denke jeder kennt das: Man geht in einen Club und sieht genau eine Frau bzw. Mann, obwohl vielleicht hundert Menschen anwesend sind; aber irgendwas lässt diesen Menschen magisch hervorstechen. Ich behaupte, Menschen mit AA, v.a. AAT/AAU sind von diesem Filter signifikant ausgeschlossen, sie existieren sozusagen nicht für die meisten anderen und das hat dann Konsequenzen im Beziehungsaufbau, aber selbst in den unbewussten Mechanismen, wie Äußerungen etc. von Menschen mit AA im Beruf akzeptiert bzw. positiv oder weniger positiv wahrgenommen werden. Das tückische ist, dass dies alles unterbewusste Vorgänge sind. Niemand ist sich dessen bewusst, d.h. wir können gleichzeitig zu jemand sagen, dass er ein „guter, kompetenter Mensch ist“ mit dem es Spass macht „zusammenzuarbeiten“ etc. aber gleichzeitig einfach nur eine Unlust spüren (bzw. besser ausgedrückt, das Fehlen von Lust) mit ihm tiefer in Beziehung zu treten, so dass kein Affekt diesbezüglich entsteht bzw. ein Art Rückzugsaffekt, dieses typische „auf die Uhr schauen während des Zuhörens“. So kann ein AA-Betroffener 1000x hören, dass er doch eigentlich äußerlich gar keinen Makel hätte und gleichzeitig aber die reale Erfahrung machen, dass es sehr schwer ist, Beziehungen aufzubauen und wirklich Akzeptanz abseits von Beruf, Freizeit, Freundschaft zu finden, wobei selbst letzteres beeinträchtigt ist. Der Grund liegt, dass sich alles unterbewusst und auf Gefühlsebene abspielt. Daher auch meine Formulierung der „unbewussten und versteckten Stigmatisierung“. Natürlich gibt es Sonderfälle: Ist jemand besonders gut gebaut, besonders erfolgreich, etc., dann kann dies scheinbar ausgehebelt erscheinen, aber die meisten sind halt 08/15 Menschen, die Ihrer Arbeit nachgehen und die haben damit dann erheblich zu kämpfen, so zumindest meine Erfahrung nach Jahren mit AAU.


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icon5.gif   Aw: Alopecia Areata, versteckte/unsichtbare Stigmatisierung und Partnerschaft [Beitrag #15827 ist eine Antwort auf Beitrag #15825] :: Wed, 03.01.24 15:46 Zum vorherigen Beitrag gehen
Mich würde interessieren:
-Welche Erfahrungen macht Ihr?
-Wie geht Ihr damit um?

V.a. in Richtung der Männer mit AAU und AAT, aber auch Frauen würden mich interessieren.


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